Flyer Uni Bielefeld 22.01.2013

Folgender Flyer wurde heute in der Uni Bielefeld zur aktuellen ‘Debatte’ um Rassismus in Kinderbüchern verteilt:

Rassismus in Kinderbüchern

Kritische Stellungnahme zur aktuellen N-Wort[i] Debatte in den dt. Medien

Rassismus ist kein Randproblem der deutschen Gesellschaft, es lässt sich nicht nur in Kreisen der extremen Rechten verorten, es ist keine persönliche oder politische Einstellung. Rassismus ist, wie Noah Sow so treffend festgehalten hat, „ein institutionalisiertes System, in dem soziale, wirtschaftliche, politische und kulturelle Beziehungen für weißen Alleinherrschaftserhalt wirken“.[ii] Dabei ist Rassismus bereits die Benennung von Unterschieden und nicht erst eine daraus abgeleitete Ungleichheit.[iii] Auf alltäglicher Kommunikationsebene bedeutet dies mitunter folgendes: „Rassismus überschreibt alle kognitiven und deduktiven Fähigkeiten. Vor allem überschreibt Rassismus Empathie und damit zuallererst die Bereitschaft zu sozialem oder auch nur zumutbarem Verhalten.“[iv]

Die gegenwärtig andauernde Diskussion in deutschen Massenmedien macht dies zur Zeit wieder einmal mehr als deutlich. Seit einigen Wochen sind Deutschlands Journalisten der auflagenstarken Tages- und Wochenzeitungen in größte Aufregung versetzt. Der Grund: Ein Verlag hat angekündigt, eine „sprachliche Modernisierung“ an dem Kinderbuch ‚Die kleine Hexe‘ vorzunehmen.[v] Konkret bedeutet dies, dass rassistische Bezeichnungen, nach dem Senden eines kritischen Leserbriefs an den Verlag, nun in den kommenden Auflagen durch andere Bezeichnungen ersetzt werden. Ein Vorgang, der noch nicht einmal Applaus verdient, sondern als logische Konsequenz der vehementen Forderungen nach Reflektion von und kritischem Umgang mit kolonialrassistischen Bezeichnungen und Sprechweisen in den vergangen zwanzig Jahren zu sehen sein sollte.

Was aber fällt deutschen Medien dazu ein? ‘Sprachpolizei’, ‘Political Correctness Verschwörung’ und natürlich ‘Zensur’! Zumeist noch vermeintlich lustig verpackt und diejenigen verspottend, die sich für eine emanzipatorische und rassismuskritische Sprachänderung einsetzen.[vi] Und natürlich an möglichst vielen Stellen in der Berichterstattung das N-Wort ausschreibend, obwohl auch in den Redaktionshäusern der Tages- Wochenzeitungen inzwischen klar sein müsste, wie erbärmlich rassistisch sie damit agieren. Die sich als linksliberal verstehende Wochenzeitung Die ZEIT sah beispielsweise nicht das geringste Problem darin, das N-Wort ausgeschrieben und mit kolonialrassistischen Illustrationen unterfüttert auf die Titelseite der Ausgabe 4/2013 (17.01.) zu setzen.

Wir finden diese Debatte um Kinderbücher, die im eigentlichen Sinne gar keine ist, sondern fast ausschließlich Stimmung für den Erhalt rassistischer Sprache macht, nicht nur dummdreist und über weite Strecken unerträglich, sondern aus gesellschaftspolitischer, emanzipatorischer Perspektive auch in hohem Maße reaktionär und gefährlich. Sie missachtet und untergräbt Kritik aus rassismuserfahrenen Positionen in Deutschland, die schon seit Jahren für eine Änderung rassistischer Verhältnisse – auch in der deutschen Sprache! – eintreten.[vii] Zudem verfestigt die derzeitige mediale ‚Diskussion‘ in den allermeisten Beiträgen bestehende, äußerst dominante Vorstellungen und Haltungen zu Kolonialrassismus. Die beteiligten Journalist_innen zeigen sich dabei als „Kämpfer für einen Sprach-Rassismus, der ewiggestriger nicht sein könnte“.[viii]

Dabei geht es bezeichnenderweise um Kinderbücher, d.h. um Literatur mit der viele Menschen der kommenden Generationen aufwachsen werden. Sie prägen in nicht zu unterschätzender Weise den Blick auf die Welt und schnüren am ‘Gesamtpaket’ rassistischer Stereotypisierungen und weißer Überlegenheitsphantasien, mit denen wir alle sozialisiert werden, zu einem nicht geringen Teil mit. Kritik an rassistischen Wörtern und Bildern und ein Ende ihrer fortlaufenden Verwendung ist unabdingbar für die Bekämpfung rassistischer Verhältnisse in der Gesellschaft. Die Aufnahme langjähriger Kritik und eine Entfernung rassistischer Wörter in Kindergeschichten ist dabei vielleicht nur ein kleiner, aber keinesfalls unwichtiger Schritt.

Wir können und wollen an dieser Stelle nicht alle rassistischen Beiträge der massenmedialen Debatte anführen und kommentieren. Anstatt dessen verweisen wir hier auf einen neu eingerichteten Blog, auf dem eine Vielzahl an kritischen Artikeln und Kommentaren in einer Liste zusammen gesammelt wurden. Ebenso sind dort kritische Beiträge und wissenschaftliche Auseinandersetzungen zu ‚Rassismus und Sprache‘ sowie zu ‚Rassismus in deutschen Kinderbüchern‘ verlinkt. So soll ein kritisches Nachschlagewerk und eine Alternative zu den dominanten Diskursbeiträgen der aktuellen Mediendebatte entstehen. Die Auflistung ist bei Weitem nicht abgeschlossen und wir sind dankbar für Hinweise zu weiteren aktuellen Gegenstimmen und kritischen Beiträgen zur laufenden Berichterstattung. Bitte sendet Vorschläge, die auch in die Liste mit aufgenommen werden können, an folgende Adresse: rassismuskritik@riseup.net

AK Rassismuskritik                                                                                   //re_vision Medienkollektiv

 

https://akrassismuskritik.wordpress.com


[i] Das N-Wort wird im Folgenden nicht ausgeschrieben. In  Anlehnung an Grada Kilomba wird in der rassismuskritischen Forschung betont, dass das N-Wort kein neutrales Wort ist, sondern ein weißes Konzept, das Menschen in eine koloniale Ordnung festschreibt: „Der Begriff ‚N.‘ soll alle südlich der Sahara lebenden AfrikanerInnen kategorisieren und wurde während der europäischen Expansion erfunden. Das N-Wort ist also in der Geschichte der Versklavung und Kolonialisierung situiert, d.h. es ist ein Begriff, welcher mit Brutalität, Verwundung und Schmerz einhergeht“.

[ii] Sow, Noah (2011): „Rassismus“. In: Arndt, S. /Ofuatey-Alazard, N.: (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk. Münster: Unrast, S.37.

[iii] Vgl. Sow, Noah (2009): „Deutschland Schwarz Weiß. Der alltägliche Rassismus. Münster: Unrast, S.77ff.

[vi] Diese reicht zum Teil bis hin zur offenen Diffamierung von Mekonnen Mesghena, der den Verlag per E-Mail auf die rassistischen Bezeichnungen aufmerksam gemacht hatte. Siehe hierzu beispielsweise den kritischen Kommentar zu Jan Fleischhauers Spiegel-Online-Artikel “Political Correctness: Auf dem Weg zur Trottelsprache” (17.01.2013) unter: http://maedchenmannschaft.net/political-correctness-fleischhauers-trottelargumentation/

[vii] Siehe hierzu beispielsweise: der braune mob e.V., „Deutschlands erste Schwarze media-watch-Organisation, gegründet im Jahr 2001 von professionell Medienschaffenden, Jurist_innen, Künstler_innen und Aktivist_innen, die eine diskriminierungsfreie deutsche Medienöffentlichkeit erreichen wollen“.

Weitere Informationen unter: http://blog.derbraunemob.info/

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